Quantcast
Viewing latest article 4
Browse Latest Browse All 236

Dr. Wise erklärt, wie man das Virus besiegt - und wie man es nicht macht!



Der Film wurde 1919 vom britischen Local Government Board (LGB), das u.a. für Fragen der öffentlichen Gesundheit zuständig war, als Reaktion auf die verheerende Spanische Grippe in Auftrag gegeben. Sir Arthur Newsholme, der damalige Chief Medical Officer des LGB, dürfte den Anstoß dazu gegeben haben, der eigentliche Produzent war aber Joseph Best (der zuvor auch schon einen Film über Geschlechtskrankheiten gemacht hatte). Ob Best auch als Regisseur fungierte, und wer die sonstigen Mitwirkenden waren, weiß ich nicht. Der Film lief wohl im Vorprogramm der regulären Kinos, aber erst 1919, als die zweite Welle der Spanischen Grippe (die in England im Oktober 1918 begonnen hatte) schon im Abklingen war, und angeblich gab es auch nicht genügend Kopien für einen wirklich flächendeckenden Einsatz. Viele Kinobetreiber hatten auch keine Lust mehr, ständig "Public Information Films" vorführen zu müssen. Es ist also fraglich, ob DR. WISE ON INFLUENZA überhaupt eine größere Wirkung entfaltete. Nicht zuletzt als Reaktion auf die Pandemie und die unzureichenden Maßnahmen dagegen wurde 1919 in Großbritannien ein Gesundheitsministerium eingeführt, auf das die gesundheitspolitischen Aufgaben des LGB übertragen wurden.

DR. WISE ON INFLUENZA ist fast ein Unikum, denn ansonsten wurde die Spanische Grippe im britischen Film praktisch totgeschwiegen - weder im Spielfilm noch in Wochenschauen wurde sie thematisiert. Man wollte wohl zunächst in Kriegszeiten alles vermeiden, was die Bevölkerung in Panik hätte versetzen können, und nach Ende des Ersten Weltkriegs kam man nur schwer wieder aus diesem Modus heraus. Es scheint aber zumindest 1920 noch einen weiteren (und nur 90 Sekunden dauernden) Influenza-Film gegeben zu haben, den sich Christopher Addison, der erste Gesundheitsminister, als Erfolg auf die Fahnen schrieb. Angeblich haben den 30 Mio. Briten gesehen, so behauptete zumindest Addison. DR. WISE ON INFLUENZA hat in den Archiven des British Film Institute (BFI) die Zeiten überdauert und wurde im letzten Sommer aus naheliegenden Gründen erneut der Öffentlichkeit präsentiert. Die hier eingebettete Version wurde allerdings stark bearbeitet. Nicht nur die Farbe wurde künstlich hinzugefügt, es wurden auch viele Szenen stark gekürzt. Vielleicht wurde auch die Abspielgeschwindigkeit etwas erhöht. Auf dem YouTube-Kanal des BFI gibt es die unbearbeitete Version des Films, die dem ursprünglichen Seherlebnis offensichtlich viel näher kommt. Da hat man dann auch genug Zeit, um in Ruhe die Zwischentitel zu lesen.

Viele der vom fiktiven Dr. Wise empfohlenen Maßnahmen wirken für uns von der Pandemie Gebeutelten erstaunlich zeitgemäß und vertraut. Nur das Gurgeln mit Kaliumpermanganat würde man heute wohl nicht mehr empfehlen. Und es gibt im Film sogar Bilder des Erregers zu sehen! Oder etwa doch nicht? Nein, natürlich nicht. Bekanntlich wird die Grippe, und damit auch die Spanische Grippe, von Viren verursacht, und die konnte man in den damaligen Lichtmikroskopen überhaupt nicht sehen. Das gelang erst mit dem Elektronenmikroskop, doch das wurde erst in den 30er-Jahren entwickelt. Außerdem wimmelt und wuselt da nichts, sondern das Elektronenmikroskop liefert nur statische Bilder. Uns werden hier also x-beliebige Mikroben als angebliche Erreger untergejubelt (wenn nicht gar ein begabter Animationskünstler am Werk war). Freilich sollte man nachsichtig sein, denn das Influenzavirus wurde auch erst in den 30er-Jahren als Verursacher der Krankheit nachgewiesen - vorher zog man auch Bakterien in Betracht. Das BFI allerdings schrieb begleitend zur Neuveröffentlichung des Films: "Look out for some impressive microscopic footage of the deadly microbes in question [...]" - und das ist dann doch eine etwas dreiste Aufschneiderei. Aber zum Ausgleich dafür hat uns das BFI auch diesen lesenswerten Artikel von Bryony Dixon über den Film und seine Begleitumstände spendiert, in dem übrigens auch auf die Nöte der damaligen Kinobetreiber eingegangen wird, die den heutigen durchaus ähnlich waren. Interessante Informationen enthält auch dieser Artikelüber die damalige Situation auf der Insel und die Maßnahmen des LGB.

Viewing latest article 4
Browse Latest Browse All 236